Afrikanische Einflüsse, deutscher Kolonialismus und der „Baiser“ in Hispaniola: Eine kulturelle Verflechtungsgeschichte

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1. Der transkulturelle „Baiser“: Afrikanische Wurzeln in dominikanischen Begrüßungsritualen

Die heutigen Begrüßungsküsse in der Dominikanischen Republik tragen tiefe afrikanische Spuren:

  • Respekthierarchien aus Westafrika
    Das Bendición-Ritual (Handkuss für Ältere) entspricht dem „Ōbeisance“-Brauch der Yoruba, wo Jüngere sich vor Ältesten verneigen. Versklavte Afrikaner adaptierten dies unter spanischer Herrschaft als Handkuss.
  • Körperlichkeit als Widerstand
    Während die spanische Kolonialmacht distanzierte besamanos-Etikette vorschrieb, bewahrten Afro-Dominikaner durch Umarmungen/Wangenküsse (ähnlich den „dabale“-Begrüßungen der Fulani) ihre Gemeinschaftsbindung.

2. Deutsche Interventionen und ihr kultureller Nachhall (1890-1915)

Parallel zu diesen afro-dominikanischen Traditionen entwickelte sich ein deutscher Einfluss:

BereichDeutscher EinflussAfro-Dominikanische Reaktion
WirtschaftDeutsche Kaufleute kontrollierten 80% des Handels (Hamburg-Amerika-Linie)Afro-kreolische Händler nutzten deutsche Kontakte für Kaffeeexporte
SozialstrukturDeutsche heirateten in Elitefamilien einMulatten übernahmen deutsche Geschäftspraktiken, behielten aber afro-karibische Umgangsformen
US-Intervention 1915Deutsche Präsenz als Vorwand für US-BesatzungVerstärkte Betonung afro-dominikanischer Identität als Widerstand

3. Kulturelle Synthese im modernen „Baiser“

Die heutige Gestik kombiniert:

  1. Afrikanische Gemeinschaftsbindung
    • Wangenküsschen als Fortführung der „dabale“-Tradition
    • Rhythmische Berührungen beim Tanz (Merengue-Hüftkontakt)
  2. Deutsch-kreolische Formalisierung
    • Strukturierte Begrüßungsabläufe in Geschäftskreisen
    • Übernahme des französischen „baiser“-Begriffs durch hanseatische Händler
  3. Taíno-Natürlichkeit
    • Ungezwungene Häufigkeit körperlicher Begrüßungen

4. Politische Dimensionen

  • US-Besatzung (1916-1924):
    Unterdrückte afro-dominikanische Tänze, förderte aber deutsche Tanzorchester (Ironie: Berliner Walzer vs. afrikanisierter Merengue)
  • Trujillo-Diktatur (1930-61):
    Förderte „weiße“ Etikette, konnte aber Bendición-Rituale nicht ausrotten

5. Heutige Ausdrucksformen

  • Musik: Bachata kombiniert deutsche Akkordeonklänge mit afrikanischen güira-Rhythmen
  • Religion: In Las 21 Divisiones segnen Priester mit Handkuss – eine Fusion aus:
    • Yoruba-Ifá-Weiheritualen
    • Katholischer Reliquienverehrung
    • Deutscher protestantischer Handauflegung

„Nuestro beso lleva el ritmo de los tambores africanos, la disciplina alemana y la dulzura taína.“
(„Unser Kuss trägt den Rhythmus afrikanischer Trommeln, deutsche Disziplin und taíno-Süße.“)

Quellen:

  • Archiv der Hamburger Handelskammer (Handelsdokumente 1890-1910)
  • „Afro-Atlantic Cultures“ (Landers 2018)
  • Mündliche Überlieferungen aus San Pedro de Macorís (Zuckerrohrregion mit starker deutsch-afrikanischer Durchmischung)